Forschung & Innovation

Inter- und transdisziplinäre Forschung

Farmers harvesting coffee beans on the "Ten Paciencia" farm in the Madre de Dios region, Peru. Photo: Natalia Peralta

Kaffeeernte auf der Farm «Ten Paciencia» in der Region Madre de Dios, Peru | Foto: Natalia Peralta

In einem koordinierten Vorgehen ermittelt und umreisst die Wyss Academy for Nature Gelegenheiten für inter- und transdisziplinäre Projekte. Wir fördern die Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Innovator*innen aus verschiedenen Disziplinen und – über unsere regionalen Hubs –, mit Interessengruppen und Partnerorganisationen aus dem globalen Süden. Ziel ist es, die vielversprechendsten Gebiete und Themen auszuwählen, um positive Veränderungen für die Menschen und die Natur zu erreichen. Wir messen der Integration verschiedener Wissensarten, einschliesslich Indigenen Wissens, einen hohen Stellenwert bei und behalten die Relevanz und die Umsetzbarkeit unserer Projekte in der realen Welt stets im Blick, um so vor Ort konkrete Ergebnisse zu erzielen und gleichzeitig eine globale Perspektive zu wahren.

Interview mit Jürg Staudenmann, Transdisciplinary Research Coordinator

Wichtigste Erfolge im Jahr 2023

1. Freie Bahn für eine Stärkung der Agroforstwirtschaft im peruanischen Amazonasgebiet

Im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts zur Agrarökologie baute die Projektgruppe 2023 in ihrer Schwerpunktregion Madre de Dios in Peru ein umfangreiches Netzwerk von Partnern aus Wissenschaft und Praxis auf. In einem ersten Workshop wurde die Entwicklung von Wertschöpfungsketten als wichtiger Hebel für die weitere Verbreitung agroforstlicher Ansätze in der Region identifiziert. Daraufhin startete der Hub Südamerika in Zusammenarbeit mit einem innovativen lokalen Bauern und Unternehmer ein Experiment. Ziel ist die verbesserte Vermarktung von Fruchtfleisch, das in der Provinz Tambopata im Rahmen eines Agroforstsystems produziert wird. Darüber hinaus begann das Projektteam mit einer Analyse der Geschichte und des aktuellen Entwicklungsstands der Agroforstwirtschaft in Madre de Dios, einschliesslich der Erstellung einer Geodatenbank zu bestehenden Agroforstsystemen.

Amazon nut seedlings at Camino Verde La Joya Reforestation Center, in Madre de Dios, Peru Photo: Natalia Peralta

Paranuss-Setzlinge am Wiederaufforstungszentrum Camino Verde La Joya in der Region Madre de Dios in Peru | Foto: Natalia Peralta

2. Neue Partnerschaften für technologische Lösungen und Datenmanagement

Im Jahr 2023 investierte die Wyss Academy in neue strategische Partnerschaften, um den transformativen Charakter ihrer inter- und transdisziplinären Forschung zu stärken. So wollen wir beispielsweise zusammen mit dem EssentialTech Centre der EPFL mögliche technologische Hebel zur Entschärfung von Konflikten zwischen Menschen und Natur in Kenia identifizieren. Während eines ersten Workshops im Oktober in der Region Naibunga/Ol Donyiro erarbeiteten Forschende aus der Schweiz und Kenia zusammen mit Viehzüchtenden und anderen lokalen Interessengruppen eine gemeinsame Vision in Bezug auf die Lösung von Konflikten und eine bessere Governance des Weidelandes. Zudem prüften Mitglieder unseres interdisziplinären Forschungsprojekts zu Zahlungen für Ökosystemleistungen zusammen mit Vertretungen von lokalen Gemeinschaften und 21 Naturschutzorganisationen, inwiefern ein «digitaler Zwilling» die Zusammenarbeit zwischen lokalen Akteur*innen verbessern und ein Wirkungsmonitoring ermöglichen könnte.  

3. Lösungen für die Wiederherstellung von Wasserressourcen und Biodiversität in Kenia getestet

Im Juni arbeitete das Team des transdisziplinären Projekts zum Thema Wasserknappheit, dem sowohl Forschende als auch Mitglieder unseres Hubs Ostafrika angehören, mit kenianischen Partnern aus Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen, County-Regierungen und lokalen Gemeinschaften zusammen, um Herausforderungen im Zusammenhang mit Wasserknappheit und Klimawandel zu analysieren. Gemeinsam entwickelten sie Lösungen für die Wiederherstellung der Wasserressourcen und die Erhaltung der Artenvielfalt im Einzugsgebiet des Flusses Ewaso Ng’iro North in Kenia. Die halbmondförmigen Erdwälle, die ab Februar im Laikipia County erstellt wurden, hielten das Oberflächenwasser bereits bei den ersten Regenfällen zurück und führten zu einer gesteigerten Wasseraufnahme im Boden. Ein im Oktober eingerichtetes Monitoring-Netz sammelt seither wissenschaftliche Daten über die Rolle der Erdwälle bei der Verbesserung des Grundwasserhaushalts. All das dient dem übergeordneten Ziel, eine wohlhabendere Bevölkerung in gesünderen semiariden Landschaften zu fördern und das Potenzial dieser Wiederherstellungstechnik für eine Ausweitung auf die Landschaftsebene zu testen.

Workshop to develop the interdisciplinary project on water scarcity in Nairobi, Kenya   Photo: Cornellius Okello

Workshop in Nairobi zur Entwicklung des inter- und transdisziplinären Projekts zum Thema Wasserknappheit | Foto: Cornelius Okello

4. Potenzial für nachhaltige Goldgewinnung im peruanischen Madre de Dios ausgelotet

Unsere Forschung im Bereich Bergbau zielt darauf ab, verantwortungsvolle Praktiken entlang der gesamten Goldwertschöpfungskette zu fördern. Dazu verbinden wir wissenschaftliches Fachwissen mit praktischer Erfahrung vor Ort und arbeiten mit lokalen und globalen Partnern zusammen. Unsere langfristige Vision ist, ein harmonisches Gleichgewicht zwischen menschlicher Entwicklung und Naturschutz zu erlangen. Im Jahr 2023 analysierte das transdisziplinäre Forschungsteam die bestehende Forschungsliteratur zum Thema und führte mehrere Workshops durch mit dem Ziel, die Möglichkeiten für eine Verbesserung der Politik zum handwerklichen Bergbau und für die Förderung einer quecksilberfreien Produktion besser zu verstehen. Auf dieser Grundlage wird sich die weitere Forschung auf das Potenzial veränderter Narrative in Bezug auf Bergleute, alternative Technologien zur Reduzierung der Entwaldung sowie der Einbindung von Interessengruppen im Goldhandel zur Förderung von Transparenz und Nachhaltigkeit konzentrieren.

Artisanal small-scale mining, Amazonia, Peru Photo: Pavel Martiarena, ©ACCA

Handwerklicher, kleingewerblicher Goldbergbau im peruanischen Amazonasgebiet | Foto: Pavel Martiarena, ©ACCA

Rio Madre 2010
Rio Madre 2019

Satellitenaufnahmen aus den Jahren 2010 (links) und 2019 (rechts) zeigen, wie der oft mit giftigem Quecksilber betriebene Goldbergbau die Landschaft nahe des Flusses Madre de Dios in Peru verändert hat
Fotos: © eoVision/Digitalglobe/EUSI

 

5. Nutzung Indigener Governance-Modelle beim Schutz von Ökosystemen

Während innovative gemeinschaftsgeführte Governance-Modelle Indigener Gemeinschaften auf globaler Ebene zunehmend Beachtung finden, bleiben Fragen rund um Herausforderungen vor Ort und das Potenzial der Modelle für den Artenschutz noch zu untersuchen. Die Frage, inwieweit sie zu einem gerechteren und verantwortungsvolleren Umgang mit Tropenwäldern beitragen können, wurde im Juni an einer vom Team unseres transdisziplinären Projekts zu Indigener Governance organisierten thematischen Veranstaltung auf der Konferenz der International Association for the Study of the Commons in Nairobi erörtert. Das Ergebnis floss nicht nur in unsere Forschung in Madre de Dios ein, sondern führte auch zur Ernennung der Projektleiterin zur Co-Vorsitzenden einer neu geschaffenen Arbeitsgruppe zu Indigenem und lokalem Wissen im Rahmen der Erstellung des renommierten Umweltberichts «Global Environmental Outlook 7» des Umweltprogramms der Vereinten Nationen.