Kompetenzzenter

Jahresthema: Wirtschaftliche Ansätze für den Wandel

Um den Systemwandel, der zur Erhaltung des Planeten nötig ist, voranzutreiben, ist die Rolle des Privatsektors zentral. Wie sieht wirtschaftliches Handeln aus, das die Bedürfnisse der Natur und der Menschen von Anfang an mit einbezieht?

Mit dieser Frage hat sich die Wyss Academy for Nature im Berichtsjahr intensiv beschäftigt. In Peru beispielsweise, wo unsere lokalen Partnerinnen gemeinsam mit Paranuss-Bäuerinnen und -Bauern ein innovatives und nachhaltiges Tourismus-Angebot im Tambopata-Nationalreservat, Region Madre de Dios, aufbauen; im Kanton Bern, wo wir sowohl den Wald stärken wie auch die Wertschöpfungsketten der regionalen Holzwirtschaft verbessern wollen; in Kenia, wo unter anderem getrocknete Austernpilze, gezogen auf Elefantendung, Frauenkooperativen ein Einkommen sichern; sowie in Laos, wo wir gemeinsam mit Partnerorganisationen eine Studie zum wirtschaftlichen Potenzial von Nichtholz-Produkten erarbeitet haben.

Hub Bern: Innovative Produkte aus schwer absetzbarem Rohholz

Im Kanton Bern bestehen zwar bereits regionale Wertschöpfungsketten für Holz. Aber was die Entwicklung neuer, ressourcenschonender Produkte betrifft, die in einem nächsten Schritt auf den Märkten lanciert und etabliert werden sollen, besteht noch viel Potenzial. Wesentlich ist auch die Vernetzung von Unternehmen, die sich in diesem Bereich engagieren sowie die Stärkung des Vertrauens zwischen den zahlreichen Interessensgruppen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die Teil der Wertschöpfungsketten sind. Zu ihnen gehören neben Waldbesitzenden Forst- und Transportunternehmen, Sägereien, Hobel- und Leimwerke, Holzbauende und Zimmerleute - aber auch Kund*innen, Architekturbüros, Waldbesuchende, Jägerinnen und Naturschützer*innen.

Genau hier setzen mehrere Inkubatorprojekte an, die der Hub Bern der Wyss Academy for Nature in Kooperation mit Lignum Holzwirtschaft Bern sowie dem Amt für Wald und Naturgefahren (AWN) des Kantons Bern in den Regionen Oberland-Ost und Emmental lanciert hat – und die gleichzeitig eine Verbesserung der Ökosystemleistungen des Waldes zum Ziel haben. Eines davon fokussiert auf die Verwertung schwer absetzbarer Rohholzprodukte, was unter anderem bei Käferholz oder Buchen- und Föhrenholz der Fall ist: Trotz steigendem Bedarf an Holz ist dieses nicht gefragt. Im Rahmen von Umfragen und Workshops mit den Interessengruppen unter der Leitung der Berner Fachhochschule AHB wurden neue Ideen gesucht und gesammelt, um das Holz regional und zu einem höheren Preis als für Brennholz zu vermarkten. Nach einer mehrstufigen Prüfung der Vorschläge durch Expert*innen wurden schliesslich vier Produkt- bzw. Projektideen definiert, für die im Jahr 2023 ein Business Case erstellt wurde: Pflanzenkohle, Grillkohle, Holzverstromung sowie Leimholz.

„Pflanzenkohle kann bei der Tierfütterung verwendet werden, wo sie Methan bindet“, erklärt Projektleiter Stefan Lobsiger von der AHB in einem Video-Interview. „Oder auch in der Pflanzenaufzucht, wo sie Wasser spart, Nährstoffe liefert und Pflanzen nachweislich resistenter macht.“
 

Es besteht noch viel Potenzial für die Entwicklung neuer, ökologisch nachhaltiger Produkte 


Grillkohle wird für die Schweiz grossteils importiert – gemäss WWF Schweiz auch aus nicht zertifizierten Wäldern. Hier biete sich für die Schweiz die Chance, aus regionalem Holz Grillkohle zu produzieren. Auch zur Produktion von Strom könnte das Holz verwendet werden. Eine Grossanlage in Stans produziert derzeit beispielsweise rund 1‘200 Megawatt Strom, was den Jahresbedarf von 1‘000 Einfamilienhäusern deckt. Denkbar ist zudem die Produktion von Leimholz für Nichtsichtbauten wie etwa Industriehallen. Der Business Case enthält neben verschiedenen Kriterien zur Produktbewertung, wozu neben Risikofaktoren auch Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Akzeptanz gehören, auch konkrete Handlungsempfehlungen. Diese bilden die Grundlage für einen Massnahmenkatalog, der 2024 in einem nächsten Schritt zusammen mit den Interessensgruppen diskutiert und verabschiedet werden soll. 

Weitere Projekte des Hubs Bern mit wirtschaftlichen Ansätzen für den Wandel finden Sie hier: 

Hub Südamerika: Einkommenssicherung dank der Paranuss-Route

In der peruanischen Provinz Tambopata, Region Madre de Dios, testet der Hub Südamerika der Wyss Academy for Nature gemeinsam mit Interessensgruppen Ansätze zur Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung im Einklang mit den Zielen des Naturschutzes. Hierzu gehören Projekte zur Vermarktung der Paranuss (auch bekannt als Amazonas-Nuss), deren Bäume im Konzessionsgebiet wachsen und geschützt sind. Insgesamt fünf Organisationen haben im Jahr 2023 verschiedene innovative unternehmerische Experimente entlang des Wertschöpfungsnetzwerkes dieses wertvollen Nichtholzproduktes durchgeführt, wobei sie vom Team des Hub Südamerika unterstützt wurden. Zu ihnen gehört unsere Partnerorganisation Shiwi - ein Unternehmen, das in Tambopata die sogenannte Paranuss-Route weiterentwickeln will, indem sie dort kulinarische und kulturelle Erlebnisse anbietet. Ziel ist es, die Lebensbedingungen der Nuss-Sammler*innen zu verbessern. Dies geschieht, indem sie sich mit diversen Angeboten aktiv an der Ausgestaltung der Route beteiligen und so ihr Einkommen verbessern können. „Wir achten darauf, dass das generierte Einkommen fair verteilt wird, indem wir verschiedenste Dienstleistungen und Güter von den involvierten Sammler*innen beziehen – von Bootsfahrten über Lebensmittel bis hin zur Instandhaltung von Besuchsbereichen”, sagt Sofia Rubio, Gründerin von Shiwi, und erläutert den Hintergrund: “Der Verkauf von Paranüssen ist ein saisonales Geschäft. Um in der Nebensaison ein Auskommen zu haben, betreiben viele Sammler*innen Holzeinschlag oder Landwirtschaft; oder sie sind im handwerklichen Goldbergbau tätig.”
 

Naturverbundene Alternativen können die Lebensbedingungen verbessern


Hier bietet die Paranuss-Route Alternativen, die im Einklang mit der Natur stehen – beispielsweise den gemeinsamen Aufbau eines nachhaltigen Tourismusangebots in der Region, zu welchem etwa geführte Urwald-Wanderungen und Gastro-Erlebnisse gehören. „Gegenwärtig engagieren auch wir uns mit einem Tourismus-Programm, das die Wyss Academy gemeinsam mit Swisscontact durchführt”, sagt Sofia Rubio und betont: “Neben der Einkommenssicherung bietet dies den engagierten Sammler*innen die Chance, Berufserfahrungen zu sammeln und ihr Wissen zu erweitern.”

Weitere Informationen zum Paranuss-Wertschöpfungsnetzwerk sowie zum nachhaltigen Tourismus in Madre de Dios finden Sie auf der Jahresbericht-Seite des Hub Südamerika.

Hub Ostafrika: Eine innovative Idee lässt Pilze spriessen und schafft Mehrwert

Am Hub Ostafrika hat das Projekt «Wirtschaftliche Ansätze für den Wandel» eine interessante Wendung genommen: die Wertschöpfung aus Elefantendung und die Diversifizierung der Ernährung einer überwiegend fleischessenden Gemeinschaft im semiariden Norden Kenias. Im Rahmen einer Partnerschaft zwischen der Wyss Academy for Nature, den National Museums of Kenya (NMK) und der lokalen Organisation Green Earth Warriors wurde eine neue Anbautechnik erfolgreich getestet, bei der nahrhafte Austernpilze mit Elefantendung als Substrat gezüchtet werden. Der innovative Ansatz kombiniert wissenschaftliche Methoden mit lokalem Wissen, um Ernährungssicherheit, Ernährungsvielfalt und verbesserte Lebensbedingungen für die Bewohner*innen der Naibunga Community Conservancy im Bezirk Laikipia in Kenia zu schaffen. «Bei meiner Arbeit vor Ort und in verschiedenen Projekten im Zusammenhang mit Nashörnern und Elefanten habe ich mich gefragt, ob neben dem Naturschutz auch die Ernährungssicherheit für die Gemeinden, in denen wir arbeiten, ein Thema sein könnte», berichtet Antony Wandera, Projektleiter an der Wyss Academy for Nature vom Hub Ostafrika und Initiator des Projekts.

Das Pilzprojekt liefert nicht nur wohlschmeckendes pflanzliches Eiweiss und schafft Arbeit und Einkommen, sondern stärkt auch die Gemeinschaft – insbesondere die Frauen. Susan Kabacia, wissenschaftliche Mitarbeiterin von NMK, erklärt: «Mit dem neuen Selbstvertrauen wächst auch die Motivation, das erworbene Wissen und die Fähigkeiten an die Frauen in den Nachbargemeinden weiterzugeben und so den Zusammenhalt und die Einheit zu fördern – ein Gewinn für die gesamte Entwicklung in der Region.»    

In weniger als sechs Monaten mobilisierten die Green Earth Warriors 25 Frauen für das Projekt. Die daraus entstandene «Pilzfrauengruppe» wurde im gesamten Prozess der Pilzproduktion geschult – vom Sammeln und Aufbereiten des Elefantendung-Substrats bis hin zur Zucht, Lagerung, Verarbeitung und Zubereitung der Pilze.  «Die Frauen sind jetzt zufriedener, fühlen sich produktiver und tragen direkt zur Gesundheit und zum Wohlergehen ihrer Familien bei», sagt Elizabeth Kuraru, Gender-Beauftragte der Green Earth Warriors.

Tag House / Wyss Academy

Das Pilzprojekt bietet Frauen in ländlichen Gemeinschaften die Möglichkeit, neue Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben und ihre Lebensgrundlagen zu verbessern, wozu auch die Ernährungssicherheit gehört. Susan Kabacia von der NMK (links, mit rosa Kopfbedeckung) und Elizabeth Kuraru von den Green Earth Warriors (zweite von links) | Foto: Tag House / Wyss Academy

Hub Südostasien: Nutzung von Nichtholzprodukten zur Wertschöpfung und Aufforstung

In Südostasien hat der wirtschaftliche Druck zu tiefgreifenden und drastischen Veränderungen der Landschaft geführt. Sie verdeutlichen den dringenden Bedarf an neuen wirtschaftlichen Ansätzen, die sowohl für die Gemeinden als auch für die Umwelt positive Veränderungen mit sich bringen. In der Provinz Sayaboury in Laos versorgte der Nam-Tien-Stausee noch vor zehn Jahren die flussabwärts gelegenen Reisbauern mit Wasser und war von dichten Wäldern umgeben, die seltenen Vogel- und Tierarten einen Lebensraum boten. In diesen Wäldern wuchsen Früchte, Nüsse, Kräuter und Pilze, die einen wichtigen Teil der Ernährung der lokalen Bevölkerung ausmachten. Inzwischen hat sich die Landschaft stark verändert: Hunderte Hektar wurden gerodet, um Platz für die von ausländischen Investoren geforderten Anbauflächen zu schaffen. Obwohl das Gebiet von der Provinzregierung als «Provincial Protected Area» ausgewiesen wurde, zeigten Untersuchungen alarmierende Trends auf, darunter die Verdrängung der natürlichen Vegetation durch mit Pestiziden behandelte Bananenplantagen, ausgedehnte, mit Plastikplanen abgedeckte Melonenfelder und der Anbau von Mais und Maniok auf schnell erodierenden Hängen.

Eine von der Wyss Academy in Zusammenarbeit mit unseren Partnern Centre for Development and Environment (CDE) und Swisscontact im Jahr 2023 durchgeführte Studie konzentrierte sich auf die aktuellen Praktiken im Zusammenhang mit der Nutzung von Nichtholzprodukten aus dem Wald sowie auf die Identifizierung möglicher Massnahmen zur Bündelung der Aufforstungsbemühungen und zur gleichzeitigen Schaffung von wirtschaftlichen Vorteilen für die lokalen Gemeinschaften. Die Analyse der Wertschöpfungsketten für Nichtholzprodukte aus dem Wald ergab eine Liste von Erzeugnissen, die dazu beitragen können, den derzeitigen Trends entgegenzuwirken. Dazu gehört das Potenzial für den Anbau und die Vermarktung einer Reihe von Pflanzen und Kräutern, die in Südostasien heimisch sind und eine grosse Bedeutung in der traditionellen Medizin haben, aber auch als Nahrungsquelle dienen können. Weitere Optionen sind die Förderung der Pilzproduktion zur Versorgung des Binnenmarktes oder die Stärkung des Exports von Früchten der Zuckerpalme (auch Palmyrapalme genannt), die einen hohen Marktwert haben. Übergeordnetes Ziel ist es, nicht nachhaltige Monokulturen durch mehrschichtige Agroforstsysteme zu ersetzen, um die Ökosystemleistungen zu verbessern und gleichzeitig den Lebensunterhalt der Bevölkerung zu sichern. Die Forschungsarbeiten wurden von Workshops und der erstmaligen sektorübergreifenden Zusammenarbeit von Interessensgruppen begleitet, die vielversprechende Wege für die nachhaltige Entwicklung neuer Ideen eröffnet und den Startschuss für neue Inkubatoren setzt.