Forschung & Innovation
Landsysteme und Nachhaltigkeitstransformationen
Land und seine Nutzung spielen bei Nachhaltigkeitstransformationen eine entscheidende Rolle. Die Landnutzung ist ein zentrales Element eines jeden sozioökologischen Systems, und sie steht unter dem Einfluss globaler Ansprüche und Entscheidungsprozesse. Das Forschungs- und Innovationsteam Landsysteme und Nachhaltigkeitstransformationen unter der Leitung von Prof. Dr. Julie Zähringer untersucht diese Zusammenhänge mithilfe von transdisziplinären Ansätzen, die Methoden aus den Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften sowie quantitative räumliche Analysen vereinen. Der Schwerpunkt liegt auf der Erfassung und Beurteilung von Landnutzungsänderungen, Ökosystemleistungen und menschlichem Wohlergehen innerhalb und im Umland von Gebieten, die für Landwirtschaft, Bergbau oder Naturschutz eingezont wurden. Das Team will den dringend notwendigen Wandel hin zu nachhaltiger Entwicklung unterstützen, indem es zur Sicherung von multifunktionalen Landschaften beiträgt und damit auch die soziale Gerechtigkeit fördert.
Interview mit Svitlana Lavrenciuc, Research Scientist im Forschungs- und Innovationsteam Landsysteme und Nachhaltigkeitstransformationen l Leitung: Prof. Dr. Julie Zähringer
Wichtigste Erfolge im Jahr 2023
1. Governance-Untersuchungen im peruanischen Amazonasgebiet
Um besser zu verstehen, welche Art von Naturschutz funktioniert, und um dazu beizutragen, die Interventionen der Wyss Academy entsprechend zu verbessern, untersuchte das Team zusammen mit dem Hub Peru die Wirkung verschiedener Formen von Governance im peruanischen Amazonasgebiet auf den Waldverlust und die damit verbundenen CO2-Emissionen. Zu den untersuchten Governance-Systemen gehören Naturschutzgebiete, indigene Gebiete und Konzessionen für Nichtholzprodukte. Die Studie bezieht sich auf den Zeitraum 2000 bis 2021. Zum Vergleich wurden auch Holzeinschlags- und Bergbaukonzessionen untersucht. Im Rahmen einer kontrafaktischen Analyse wurden Szenarien ohne diese Governance-Systeme simuliert, um ihre tatsächlichen Auswirkungen auf den Waldverlust und die CO2-Emissionen zu verstehen. Die Studie zeigte, dass Schutzgebiete am wirksamsten zur Vermeidung von Waldverlusten beitragen; gleichzeitig lieferte sie aber auch fundierte Belege für die langfristig positive Wirkung von möglichen alternativen Schutzmassnahmen wie Indigene Gebieten oder Konzessionen für Nichtholzprodukte. Diese Erkenntnisse sind entscheidend, um die Ziele des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal und der UN-Klimarahmenkonvention zu erreichen.
2. Datenerhebung im Nordosten Madagaskars
Mithilfe eines in der Umweltanthropologie begründeten qualitativen Interview-Leitfadens untersuchte das Team im Nordosten Madagaskars lokale Wahrnehmungen des Wertes von Boden und deren generationenübergreifende Veränderungen. Dies führte zu reichhaltigen Einblicken in die Kultur der Betsimisaraka und erhellte viele Details der örtlichen Umweltdynamik. Die Interviews offenbarten die Komplexität des sozialen Gefüges und seiner Verbindungen zum Boden. Es entstanden Narrative, die den Boden als zentrales Element im vielschichtigen Netz des sozialen Lebens darstellen. Dieses prägt die zwischenmenschlichen Beziehungen tief und beeinflusst das Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl der Befragten massgeblich.
Ein Bauer führt das Forschungsteam durch die Pufferzone des Masoala Nationalparks in Madagaskar | Foto: Svitlana Lavrenciuc
Ein Bauer kümmert sich um eine Vanillepflanze in einem Agroforstsystem in Madagaskar | Foto: Svitlana Lavrenciuc
3. Erkundungsreise in den Norden von Laos
In Südostasien entwickelte das Team eine Zusammenarbeit mit der Fakultät für Umweltwissenschaften der National University of Laos und unterzeichnete eine entsprechende Vereinbarung. Damit legte es den Grundstein für die erfolgreiche Umsetzung des neuen, von Biodiversa+ finanzierten Projekts «BridgingVALUES» zum Thema Berücksichtigung der Wertevielfalt für einen gerechteren Naturschutz. In Laos traf sich das Team auch mit Verantwortlichen für Land- und Forstwirtschaft der Regierungsbehörden auf Provinz- und Bezirksebene sowie mit Vertretungen von Nichtregierungsorganisationen und Gemeinschaften aus sieben Dörfern in der Umgebung des Nationalparks Nam Et-Phou Louey. Der Besuch vor Ort bot wertvolle Einblicke in den lokalen Kontext und die sich verändernde Dynamik der Lebensumstände und Landsysteme.
Julie Zähringer (Bildmitte) bei der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung mit der Fakultät für Umweltwissenschaften der National University of Laos | Foto: Eda Elif Tibet
4. Vertiefte Dissertationsforschung in Madagaskar
Welche Wege können zu einem gerechteren und ausgewogeneren Ansatz für die Erhaltung der Wälder im Nordosten Madagaskars führen? Diese weit gefasste Frage prägte fast ein Jahr lang die Forschung einer Doktorandin des Teams. Die in der Region durchgeführte Untersuchung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem lokalen Team der Wyss Academy, was zu einem vertieften Verständnis des lokalen Kontexts führte. Die insgesamt 80 im Rahmen der Studie durchgeführten halbstrukturierten Interviews gaben Einblick in die Dynamiken rund um Wissen, Macht und Entscheidungsfindung in den Fallstudienprojekten. So wurde beispielsweise festgestellt, dass die untersuchten Projekte zwar darauf abzielten, lokales Wissen einzubeziehen. Die Entscheidungsgewalt darüber, ob und wie dieses Wissen genutzt wird, blieb jedoch bei denjenigen, die die Projekte von ausserhalb der Region steuerten. Die Verlagerung eines Teils der Entscheidungsfindung auf die lokale Ebene könnte nicht nur die Mitarbeitenden vor Ort stärken, sondern auch dazu beitragen, die Distanz zwischen den Menschen, die von den Projektaktivitäten direkt betroffen sind, und denjenigen, die die Entscheidungen treffen, zu verringern.
5. Lehrveranstaltungen an der Universität Bern
In Zusammenarbeit mit dem Centre for Development and Environment (CDE) hat das Team an der Universität Bern ein Masterseminar in Geographie zum Thema «Globale Landpolitik» angeboten. Die Studierenden führten vertiefte Fallstudien zur Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Walddegradierung (REDD+), zur Grossen Grünen Mauer, zur EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte und zum Globalen Biodiversitätsrahmen durch. Während der Sommerschule der International Graduate School North-South unterstützte das Team ausserdem Doktoratsstudierende aus der Schweiz und verschiedenen afrikanischen Ländern bei der Stärkung ihrer Kapazitäten zum Thema «Gemeingüter in einer globalisierten Welt».