Thema des Jahres: Interview

«Ein feuerfestes Haus bauen»

Drei Fragen an Dr. Peter Messerli, Direktor der Wyss Academy for Nature und Professor für nachhaltige Entwicklung

Messerli

Prof. Dr. Peter Messerli

Direktor der Wyss Academy for Nature

Was motiviert die Wyss Academy, Wissenschaft und Praxis zu verbinden?

Wir haben festgestellt, dass Wissen, Handeln und Entscheidungsfindung oft völlig getrennt voneinander sind. Sie finden in Silos statt und berühren sich kaum. Forschende schreiben oftmals Berichte und hoffen, dass ihre wissenschaftlichen Empfehlungen von der Politik umgesetzt werden. Doch das geschieht nicht wirklich, oder zumindest nicht so schnell, wie es angesichts der Dringlichkeit unserer globalen ökologischen und sozialen Krisen nötig wäre. Um die derzeitigen Dysfunktionalitäten der wichtigsten Systeme, in denen wir leben, zu beheben, müssen wir deshalb neue Ansätze ausprobieren. Aus diesem Grund haben wir uns zum Ziel gesetzt, Wissenschaft, Praxis und die Macht der Entscheidungstragenden zusammenzubringen.

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Foto: Peter Messerli

War das der Antrieb für die Gründung der Wyss Academy?

Unsere Gründungsgeschichte hat verschiedene Aspekte. Die Universität Bern betreibt bereits hervorragende interdisziplinäre Forschung in den Bereichen Klimawandel, Nachhaltigkeit von Landnutzungssystemen und Biodiversität. Aufbauend auf der bestehenden Forschung und den damit verbundenen Partnerschaften auf der ganzen Welt bestand die Auffassung, dass wir zusammenarbeiten und eine innovative Institution schaffen sollten, die Transdisziplinarität und konkretes Handeln vor Ort fördert.

Persönlich bin ich der Meinung, dass der effizienteste Weg, die Natur zu schützen oder Menschen aus der Armut zu holen, darin besteht, die dysfunktionalen Systeme zu ändern, die diese Probleme überhaupt erst verursachen. Wenn die Treiber der Fehlentwicklungen nicht angegangen werden und der Druck weiter wächst – weil die Wirtschaft die Umweltkosten nicht internalisiert oder wegen der Art und Weise, wie wir Städte und Infrastrukturen bauen, oder weil wir unsere Nahrungsmittel weiterhin mit ungerechten und umweltschädigenden Methoden produzieren – wenn das alles so weitergeht, dann können wir zwar versuchen, die Natur mit Zäunen oder gar Waffen zu schützen, aber am Ende werden wir es wohl kaum schaffen. Dasselbe gilt für Armut und soziale Ungleichheit. Es reicht nicht aus, das Feuer zu löschen, wir müssen ein feuerfestes Haus bauen. Auch wenn dieses Ziel, die Systeme zu transformieren, extrem ambitioniert ist, können wir doch intelligenter und zukunftsfähiger werden. Wir wollen beweisen, dass es Wege gibt, Systeme zu verändern, und wir wollen auch zeigen, wie das zu erreichen ist. Das ist ein bisschen meine eigene Geschichte.

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Foto: Alexander Leuenberger

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Foto: Julie Zähringer

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Foto: Peter Messerli

Wie gelingt es, die Wissenschaft in die Praxis zu bringen?

Wir sind keine gewöhnliche wissenschaftliche Institution mit vordefinierten Forschungsfragen, die sie mit allen Mitteln zu beantworten versucht. Sprich, wir wollen keine Fragen beantworten, die niemand gestellt hat. Wir sind auch keine Entwicklungsorganisation, die davon ausgeht, dass sich die Welt mit Hilfe von Logframes verändern lässt, die alle erwarteten Ergebnisse von vornherein garantieren. Wenn wir sehen, wie vernetzt unsere Welt ist und wie schnell sie sich verändert, sollten wir uns eingestehen, dass die Ungewissheit so gross ist, dass Interventionen immer auch unerwartete Ergebnisse oder unbeabsichtigte Nebeneffekte auslösen werden. An der Wyss Academy haben wir das Privileg, im Rahmen eines sogenannten Reallabor-Ansatzes experimentieren zu können. Das bedeutet, dass wir auf konkrete Herausforderungen, die wir sehen, reagieren können – und dass wir die Ziele und Forschungsfragen in der direkten Auseinandersetzung mit dem System definieren. Wir haben eine grosse Verpflichtung, aus dem, was wir tun, zu lernen.

Wir sollten nicht daherkommen und sagen: «Wir bringen euch die Lösung, auf die ihr schon immer gewartet habt, denn wir sind die Spezialist*innen und die Forscher*innen. Also, hier ist unser cleveres Ding.» Stattdessen sagen wir an der Wyss Academy: «Wir kommen hierher, um mit euch zu arbeiten und gemeinsam zu lernen.» Solange wir lernen, monitoren und evaluieren, können wir Neues ausprobieren. Und wir haben auch das Recht, Fehler zu machen. Das ist eine Nische, die die Wyss Academy hat. Wir müssen uns also bewusst sein, was für ein grosses Privileg und was für eine einmalige Chance wir haben.